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Chetana Nagavajara
Die Problematik des europäischen Begriffs „Grenzen“: Eine Re-lektüre aus buddhistischer Sicht.
Die buddhistische Lehre betont den mittleren Weg, der zugleich das extreme Sinnenwohl als auch die extreme Askese ablehnt. „In-Grenzen-halten“ kann sozial sowie ethisch aufgefasst werden. Das Individuum soll nicht unkritisch tradierten Normen folgen, sondern wesentlich selbsterforschend zur Erkenntnis gelangen. „Grenzen zu setzen“ wäre demnach ein Vorgang, den es auf sich selbst und auf andere anzuwenden weiß. Das Referat versucht, vom buddhistischen Standpunkt her, sich mit der Problematik der Grenzen — das meint: psychologischen, kulturellen, sozialen, ethischen, metaphysischen Grenzen — auseinanderzusetzen, und zwar anhand von repräsentativen europäischen literarischen Werken, wie Goethes „Grenzen der Menschheit“, „Tasso“, „Faust“, „Iphigenie“ und „Die Wahlverwandtschaften“, und André Gides „La Symphonie pastorale” und „La Porte étroite“. Jede literarisch-philosophische Darstellung des Leidens der Menschen wird unvermeidlich auf mannigfaltige Grenzen stoßen. Die vermeintlichen Auswege, die merkwürdig genug in den meisten Fällen in Selbstmord münden, bestätigen eher die Unzulänglichkeit und Zerbrechlichkeit allen irdischen Tuns und Treibens. Ein nichttheistisches Denksystem wie der Buddhismus kann nicht umhin, eine radikale Lösung zu postulieren: durch ontologisches Grenzen-sprengen und Überwinden zum absoluten Loslösen aus der Kette der Geburt und Wiedergeburt in das anzustrebende Nirvana zu gelangen.