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Szene und Tribunal — Orte der „Wert-schöpfung“?
Szene und Tribunal – zwei Orte an denen Werte verhandelt und kommuniziert werden. Nicht nur bei Schiller, dessen 250. Geburtstag in diesem Jahr zu feiern ist, sondern ganz allgemein und bis in die Gegenwart.
Das 2. Forum des Projekts „Wertewelten“ will den mentalen Topographien dieser beiden Spielorte nachgehen und hierzu mit Experten aus dem Bereich des Theaters und des Gerichts diskutieren. Insbesondere interessieren uns Momente des Umschlags, Momente, in dem die Szene zum Tribunal oder auch jene, in denen das Tribunal zur Szene mutiert und nicht nur Werte, sondern auch Emotionen und Energien freigesetzt werden.
Es ist uns darum zu tun, „Bühne“ und „Gericht“ als zwei sehr unterschiedliche und doch miteinander verwandte Räume der Verhandlung und Kommunikation von Werten in den Blick zu nehmen, wobei besonders folgende Aspekte zu einer näheren Betrachtung anregen: Momente, in denen die Bühne und Literatur sich auf eine sehr spezifische Art in die Vermittlung von Werten einschalten – und solche, in denen der Gerichtssaal zur affektgeladenen Bühne, des In-Szene-Setzens von „Recht“ und „Unrecht“ wird.
Der historischen Situation kommt – nicht nur wegen des Schillerjahrs – als dem geschichtlichen Moment der modernen Wert und Wahrnehmungskonzeption eine besondere Bedeutung zu; mithin der Erkenntnis in dem extrem kultur-bzw. zeitspezifischen Kontext, innerhalb dessen Wertekonstitution stattfindet.
Schließlich bleibt die Frage des Mediums, also der Sprache. In Fortführung des Dialog-Themas vom ersten Kolloquium bleibt innerhalb einer Auseinandersetzung mit Werten aller Art die Sprache ein grundlegender Bestandteil. Der unterschiedliche begriffliche Umgang – sei es kulturell oder disziplinär – verweist nicht nur auf verschiedene Wertsetzungen, sondern auch auf Konnotationen, die wiederum ein bestimmtes Werteverständnis hervorbringen. So sind bestimmte juristische Begrifflichkeiten wie „niedere Beweggründe“ und „archaische Moralvorstellungen“ vermeintlich eng und nach rational nachvollziehbaren und objektivierbaren Kriterien definiert. Der „Interpretationsspielraum“ eines Richters kann aber erst im Einzelfall bespielt werden. Auf der Bühne bietet die szenische Darstellung eines Einzelschicksals hingegen Raum für eine öffentliche Verhandlung über Werte.
Programm
Freitag, 10. Juli 2009
bis Abends Anreise
20:00
Öffentlicher Vortrag
Seyran Ateş (Berlin)
„Wertekonflikte in der multikulturellen Gesellschaft – Die Gleichberechtigung der Geschlechter als Zerreißprobe“
Universität Tübingen, Kupferbau, Hörsaal 21Samstag, 11. Juli 2009
Impulsreferate und Diskussion mit dem Schwerpunkt Prämissen.
09:30
Jürgen Wertheimer (Tübingen) Inszenierte Wahrheit, oder: Die Gerechtigkeit als Illusion.
10:15
Chetana Nagavajara (Nakorn Pathom, Thailand) Die Schaubühne als moralische Anstalt oder das Scheitern des Tribunals.
11:30
Carlotta von Maltzan (Stellenbosch, Südafrika) Begebenheit und Zeugenaussage: Überlegungen zum narrativen Prozess.
Impulsreferate und Diskussion mit dem Schwerpunkt Systeme.
14:30
Anil Bhatti (Neu Delhi, Indien) Rechtssysteme, Wertsystem und Konfliktzonen im postkolonialen Indien.
15:15
Heinz-Dieter Assmann (Tübingen) Die Tribunalisierung des Weltverständnisses: zur rechtlich vermittelten Konstruktion von Weltwissen und Weltvorstellung.
16:30
Roger Greatrex (Lund, Schweden): Trials and Justice in Eighteenth Century China: the Imperial Household Tribunal.
20:00
Öffentlicher Vortrag
Marlene Streeruwitz (Wien) Bei uns hat der größte Wert den kleinsten Preis. Universität Tübingen, Kupferbau, Hörsaal 21Sonntag, 12. Juli 2009
Impulsreferate und Diskussion mit dem Schwerpunkt Methoden der Gerechtigkeit
09:30
Amadou Ba & Mamadou Diop (Dakar, Senegal) Tribunal am Scheidepunkt zwischen altem und modernem Afrika am Beispiel des Werkes le process du Pilon (1948) von Ousman Goundiam.
10:15
Elmar Weitekamp (Tübingen) und Hans-Jürgen Kerner (Tübingen)
Truth and Reconciliation Commissions as a Form of Transitional Justice: The Example of South Africa.11:30
Fortsetzung des Vortrags von Elmar Weitekamp und Hans-Jürgen Kerner
Impulsreferate und Diskussion mit dem Schwerpunkt Theatralisierung
14:30
Mun-Yeong Ahn (Daejeon, Südkorea)
Die Klage und Anklage einer geprügelten Frau.15:15
Kittisak Prokati (Bangkok, Thailand)
Perspektiven auf Bühnen der Gerechtigkeit in Thailand.16:30
Gerd Heinz (Freiburg)
Der Umschlag von Bühne (Szene) in Tribunal in Kleists „Zerbrochenem Krug“ — die Umkehrung von Tribunal in Bühne in Büchners „Dantons Tod“.17:15
Gespräch
Moritz Rinke und Jürgen Wertheimer
Das Theater als Verhandlungsraum?Montag, 13. Juli 2009
Impulsreferate und Diskussion mit dem Schwerpunkt „Gerechtigkeit“ als Medienereignis.
09:30
Özkan Ezli (Konstanz)
Religion zwischen Inszenierung und Problematisierung im deutsch- türkischen Film.10:15
Teruaki Takahashi (Tokio, Japan)
Wiederherstellung der Gerechtigkeit: Fantastische Wunschbilder in den japanischen Fernsehserien „Mitokomon“, „Der wilde Shogun“ und „Der zuverlässige Auftragsmörder“.11:30
Ihmku Kim (Seoul, Südkorea)
Ein NS-Prozeß als Prüfstein aufklärerischer Werte zu Bernhard Schlinks Roman „Der Vorleser“.Impulsreferate und Diskussion mit dem Schwerpunkt Ästhetiken des Widerstands.
14:30
Anne Lorenz (Tübingen) und Alexander Baur (Tübingen)
Auf Abweichungskurs: Prozesse in der Literatur und im Recht.15:15
Mohamed Benmoussa (Rabat, Marroko)
Die politische Szene als Welttheater.16:30
Arata Takeda (Tübingen)
Ansichten eines Dilemmas. Zum Wert des Lebens vor Gericht.18:00
Verleihung der Ehrendoktorwürde an Prof. Dr. Chetana Nagavajara
Öffentlicher Vortrag20:00
Jürgen Wertheimer (Tübingen)und Arata Takeda (Tübingen)
Recht, Unrecht, Terror in Schillers „Die Räuber“. Universität Tübingen, Kupferbau, Hörsaal 21Dienstag, 14. Juli 2009
10:00
Gemeinsames Frühstück (intern)
Zusammenfassung und Ausblick