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John Neubauer
WWW: Welchen Wert hat ein literarisches Wissen?
Samstag, 20. Februar 2010
Die Komplexität gewisser literarischer Werke stellt sehr hohe Anforderungen an den Leser. Komplexe Werke sind immer wieder geschrieben worden (denken wir nur an Dantes Göttliche Komödie), sind aber besonders typisch für den Modernismus. Ulysses von James Joyce, Doktor Faustus von Thomas Mann, Mann ohne Eigenschaften von Robert Musil, A la recherche de la temps perdu von Marcel Proust, die Duineser Elegien von Rainer Maria Rilke oder Waste Land von T.S. Eliot manifestieren alle, wenn auch auf verschiedener Weise, eine typisch modernistische Komplexität. Der Modernismus brachte ja auch eine Renaissance von Góngora, den Metaphysical Poets und anderen komplexen Dichtern des 17. Jahrhunderts.
Nicht diese gattungsübergreifende Komplexität modernistischer Werke an sich ist mein Thema, sondern eher die an sich auch komplexe Werteverschiebung, die seit dem Modernismus entstanden ist. Denn, so meine ich, unser Zeitalter (man mag sie auch in diesem Sinne postmodern nennen) bringt nur selten vergleichbare komplexe Werke zu stande, und wenn, dann liegt die Komplexität bei ihnen anderswo. Was geschieht mit den ja nicht so alten komplexen Werken des Modernismus in einem Zeitalter, in dem der allgemeine Leser nicht mehr die Zeit und die Kenntnisse besitzt, die zur adäquaten Wertung solcher literarischer Werke nötig sind. Kafkas Das Schloss stellt keine solche Forderungen an den Leser; wohl aber Doktor Faustus oder das Waste Land.