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Vertrauen.
Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – die Erosion des Werts von Vertrauen endet nicht mit den Apparatschiks und Lenin. In Zeiten des umfassenden „controlling“ und weltumspannender Abhörtechnologie scheint dem Vertrauen kaum mehr ein Nischendasein zuzukommen. Dennoch versuchen wir ständig, mit Begriffen wie „Urvertrauen“, „Gottvertrauen“ unsere Weltbilder zu stabilisieren, und wenn Verrat und Bespitzelung in globalem Maßstab in der Luft liegen, wird besonders insistent an Vertrauen appelliert und der Verdacht des Vertrauensbruchs vehement von sich gewiesen.
Manchmal wird das Vertrauen wie eine Ware behandelt und sogar ein Vertrauensvorschuss gewährt oder gefordert, manchmal schenkt einer jemandem sein Vertrauen – ohne jeden Besitzanspruch. Um im Fall eines Vertrauensbruchs doch tief gekränkt zu sein. Denn ohne ein gewisses Grundvertrauen geht gar nichts – keine unserer sozialen Strukturen würde ohne dieses Grundvertrauen auch nur ansatzweise funktionieren. So stellt sich die Frage, ob dieses Vertrauen möglicherweise eine bloße Illusion, eine gesellschaftsnotwendige Illusion darstellt, um eine Art Gemeinschaftsgefüge herzustellen. Sie gerät damit in die Nähe anderer teleologisch grundierter Systeme wie Religion und Politik, die beide ihrerseits auch selbst am Kalkül mit dem „Vertrauen“ partizipieren.
Darüber hinaus ist „Vertrauen“ nicht nur eine öffentliche, sondern auch eine zutiefst individuelle, ja intime Kategorie. Damit freilich auch eine höchst irrationale, emotionale, oft gegen alle Wirklichkeit in Stellung gebrachte. Blindes Vertrauen hier, krankhaftes Misstrauen dort: Die Dynamik der Vertrauensverhältnisse ist gewaltig und sie vermag es, paradoxe Reaktionen abzurufen, etwa Vertrauen in Momenten zu fordern, wo tiefstes Misstrauen angebracht wäre oder aber Vertrauen grundlos zu entziehen dort, wo Vertrauenswürdigkeit angemessen erscheint. Der Akt des Vertrauensbruchs wird noch immer als gravierender Verstoß gegen die gesellschaftliche Ordnung betrachtet, obwohl jeder davon ausgeht, dass Vertrauensbrüche ständige Begleiter des Alltags sind. Vertrauen, Vertrag und Versicherung stehen in einem spannenden, dialektischen Verhältnis zueinander.
Die Vertrauensprogrammierung ist so gesehen Teil eines subtil kodierten Machtsystems. Teil eines Machtsystems ohne Inhalte und Werte. Der bloße Akt des Vertrauenspendens ersetzt Werte. Der Akt des Vertrauensentzugs zerstört sie. Vertrauen ist mithin der Stoff, aus dem die Träume gesellschaftlichen Arrangements sind. Deshalb ist es sinnvoll, in dem geplanten Forum die kulturellen Spezifika und Grundlagen der Vertrauenswürdigkeit vergleichend zu untersuchen. Die Fragestellung dabei richtet sich auf interkulturelle Ähnlichkeiten, Differenzen und Gemeinsamkeiten, was Vertrauenssysteme betrifft. Zu fragen ist nach den Zusammenhängen zwischen dem Vertrauensverhältnis und den es steuernden jeweiligen sozialen, kulturellen, politischen, religiösen, ethischen Rahmenbedingungen. Auch sozialwissenschaftliche Perspektiven, die das Phänomen „Vertrauen“ empirisch und mit Blick auf stabilisierende Wirkungen in gesellschaftlichen Systemen untersuchen, sollen in das Raster der Fragestellungen mit einbezogen werden, um einen Kontrast zu literarischen „Einzelfallprüfungen zu bieten.
Programm.
Donnerstag, 10. Juli 2014
Bild: Joachim Unseld20:00
Hans Christoph Buch (Berlin)
„Trau, schau, wem?“
Krise Europas — Krise der Demokratie?
Universität Tübingen, Kupferbau, Hörsaal 21Freitag, 11. Juli 1013
9:30
Frank Baasner (Ludwigsburg)
Vertrauensbildung durch institutionalisierte Kooperation: Das deutsch-französische Beispiel.10:00
Jörg Armbruster (Stuttgart)
Von Doppelmoral und Verschwörungsangst —
das Misstrauen der arabischen Welt.Kaffeepause
11:00
Fawzi Boubia (Rabat/Caen)
Vertrauen in der islamischen Kultur.11:30
Chetana Nagavajara (Bangkok)
Im Spannungsfeld zwischen Vertrauen und Skepsis:
Ein westöstlicher Dialog.>>> Anschließend zusammenfassende Diskussion
13:00
Mittagspause
14:30
Frank-Olaf Radtke (Frankfurt)
Vertrauen im Erziehungssystem.15:00
Karin Amos (Tübingen)
Anvertrauen, vertrauen, misstrauen:
Eine pädagogische Vignette.>>> Anschließend zusammenfassende Diskussion
Kaffeepause
16:15
Christoph Frank (Freiburg)
Vertrauen in die Justiz:
Voraussetzungen — Gefährdungen.16:45
Heinz-Dieter Assmann (Tübingen)
Die Verrechtlichung von Vertrauen —
am Beispiel der Haftung für in Anspruch genommenes Vertrauen im Privatrecht.>>> Anschließend zusammenfassende Diskussion
Bild: Oliver Favre20:00
Avi Primor (Tel Aviv)
Misstrauen im Nahen Osten abbauen —
Vertrauen entwickeln.
Universität Tübingen, Kupferbau, Hörsaal 22Samstag, 12. Juli 2014
9:30
Roberto Cazzola (Mailand/Turin)
Vertrauen und Verzauberung: eine italienische Geschichte.10:00
Carlotta von Maltzan (Stellenbosch)
Vertrauen und Verrat. Politische Umwälzungen im deutschen Krimi über Namibia und in südafrikanischen Politthrillern.Kaffeepause
11:00
Teruaki Takahashi (Tokio)
Vertrauen in japanischer Tradition.11.30
Peter Hoffmann (Taiwan)
„Ein Freund, ein guter Freund ...“
Aus dem Alltag eines chinesischen Begriffs.>>> Anschließend zusammenfassende Diskussion
13:00
Mittagspause
14:30
Ulrike Kistner (Pretoria)
Epistemisches Unrecht und Transformation.15:00
Leo Kreutzer (Köln)
„Ach, du hättest mir nicht mißtrauen sollen!“
Über ein Vertrauen zwischen Kulturen und den Geschlechtern in Kleists ‚Die Verlobung in St. Domingo‘ und Goethes ‚Iphigenie auf Tauris‘.Kaffeepause
15:45
Gerd Heinz (Freiburg)
Vertrauen bei Wagner und bei Kleist.
Gesetz oder Gefühl. Männlich oder weiblich.
Eine vergleichende Betrachtung.16:15
Jürgen Wertheimer (Tübingen)
Vertrauen: Das Risikogefühl.16:45
Niels Birbaumer (Tübingen)
Wo sitzt das Vertrauen?>>> Anschließend zusammenfassende Diskussion
Download.
9. Öffentliches Forum des Projekts Wertewelten
Download Programmflyer (PDF, 0,5 MB)