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Frank-Olaf Radtke
Vertrauen im Erziehungssystem.
Erziehung hat ein Kausalitätsproblem, das in der Erziehungs-wissenschaft als Technologiedefizit geläufig geworden ist. Wirkung kann nur im Medium der Kommunikation erreicht werden, der Lehrer operiert nicht im Bewußtsein seiner Schüler — diese müssen selber lernen. Weil es für das Gelingen der pädagogischen Kommunikation keine Erfolgsgarantie geben kann, müssen Schulen versuchen, gegenüber der Öffentlichkeit auch „ohne nachweisbare Rationalität“ (Luhmann) den Eindruck ihrer Wirksamkeit aufrecht erhalten. Sie verfolgen dazu in ihrer Selbstdarstellung eine Strategie, die in der Organisations-soziologie mit dem Begriff einer „Logik des Vertrauens“ charakterisiert worden ist (Meyer/Rowan).
Die zentrale Stellung der Pädagogen im Bildungsprozeß beruht auf spezialisiertem Wissen und habitualisiertem Können — und dem Vertrauen der ihnen Anvertrauten darauf. Der Schüler darf — wie der Patient eines Arztes oder der Klient eines Anwaltes — erwarten, daß der professionalisierte Erzieher solidarisch mit ihm verbunden ist und in seinem Interesse handelt. Sobald Mißtrauen in dieses Arbeitsbündnis einzieht, weil der Klient auf Übervorteilung gefaßt, oder der Professionelle mit Täuschung rechnen muß, können beide ihre Aufgabe, die in der gemeinsamen (Auf-)Lösung der Probleme des Klienten besteht, nicht mehr erfüllen. Soweit das erkennbar neuhumanistisch geprägte Ideal.
Welche Bedeutung dem professionellen Arbeitsbündnis im Erzie-hungsprozeß zukommt, kann man im Moment seines Verschwindens erkennen. Mit der „Neuen Steuerung“ des Wohlfahrtsstaates, die nur noch an eine Rationalität glaubt und alle Probleme, überall, technisch zu lösen verspricht, ist auch in die Schule eine neue Logik eingezogen. Erkenntnissen aus der Institutionen-Ökonomik entnehmen die Bildungsmanager das principal-agent-Problem. Diese zutiefst misanthropische Deutung läßt den Auftraggeber (Prinzipale), das wären nun die Kultusminister, vermuten, daß seine „ausübenden Kräfte“ (Agenten), das wären nun die Lehrer, nicht (ausschließlich) dem Unternehmensziel (Wettbewerbsfähigkeit) dienen, sondern eigene Interessen verfolgen. In der pädagogischen Tradition war an dieser Stelle von Schlendrian und Unterschleif die Rede. Auf das Risiko des moral hazard antwortet nun in einer „Logik des Mißtrauens“ auf jeder Stufe der betrieblichen Hierarchie eine andauernde Kontrolle, u. a. in Form kontinuierlicher Vermessung der Produktivität (Evaluation).
Der Vortrag wird untersuchen, was die Umstellung von Vertrauen auf Mißtrauen in der Erziehung bewirken kann.