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Leo Kreutzer
„Ach, du hättest mir nicht mißtrauen sollen!“ Über ein Vertrauen zwischen Kulturen und den Geschlechtern in Kleists ‚Die Verlobung in St. Domingo‘ und Goethes ‚Iphigenie auf Tauris‘.
Ein „lügenhaft Gewebe“, so lässt Goethe Orest seine zu den barbarischen Taurern verschlagene Schwester Iphigenie instruieren, knüpfe „ein Fremder dem Fremden“; aber „zwischen uns sei Wahrheit“, sei also gegenseitiges Vertrauen. Zu dem ihr von den beiden Griechen Orest und Pylades abverlangten Vertrauensbruch gegenüber dem ‚Fremden‘, dem Taurer-König Thoas, wird es dann aber nicht kommen, weil nach eigener Aussage Iphigenie nicht gelernt hat, „zu hinterhalten, noch jemand etwas abzulisten“. Kleists fünfzehnjährige Mestizin Toni im „französischen Antheil der Insel St. Domingo“ hat das nicht nur lernen müssen, sie ist, um vor aufständischen Sklaven flüchtende Weiße in einen Hinterhalt zu locken, dazu abgerichtet worden, deren Vertrauen zu gewinnen. Aber als sie versucht, einen jungen Schweizer zu retten, verkennt der ihr überaus geistesgegenwärtiges Verhalten als Verrat und erschießt sie.